Die Familie der Zuckerl-Heller beschäftigt mich. Und nicht nur mich. Auch meine Lektorin Madeleine Pichler vom Amalthea-Verlag fragt nach dem Schicksal der Nachkommen. Ich versuche, Familie Wolf in Buenos Aires zu finden. Chancenlos. Hans Heller hat immerhin ein Buch geschrieben, über seinen Sohn Peter Heller weiß ich, dass er 1889 in Buffalo starb. Viel zu dünne Informationen. Am 15. Juli 2022 überarbeite ich in der Früh das korrigierte Buch-Manuskript und lese nebenbei meine E-Mails. Plötzlich sehe ich ein E-Mail von Eve Heller. Unglaublich. Sie entpuppt sich als Hans‘ Enkelin.

„Scheinbar durch Zufall erfuhr ich bei einem Gespräch über meine Familiengeschichte von Ihrer Arbeit bezüglich der Badener Villen. Meine Cousine Monica Wolf, die derzeit im Alter von 68 Jahren einen seltenen und vielleicht letzten Besuch in Wien macht, möchte mit mir die verlorene Geschichte unserer Familie einschließlich der Villa in Baden erkunden.“ So schreibt Eve.

Zufall? Das kann nicht sein. Am späten Nachmittag treffe die beiden Cousinen im Kaffeehaus und sie erzählen mir, wie es den Familien ergangen ist. Otto Wolf, Gustav Hellers Schwiegersohn, kehrt im Alter nach Österreich zurück – ausgerechnet nach St. Anton am Arlberg, wohl in Erinnerung an unbeschwerte Schiferien seiner Kindheit. Seine Enkelin Monica besucht ihn als kleines Mädchen und er bringt ihr Schifahren bei. Otto Wolf stirbt auch dort – ein Ort, wo wir ihn niemals suchen würden.

Die Filmemacherin Eve Heller verbringt viele Sommer mit ihrem Vater Peter in Grundlsee, wo die Familie einst eine Bauhaus-Villa am Ufer des Sees besaß und in den 1970er-Jahren wandern geht. 2005 übersiedelt Eve aus Amerika nach Österreich – der Liebe wegen. Sie lebt in Wien und im Weinviertel – warum schreibt sie mir ausgerechnet an diesem Tag, dem letztmöglichen Zeitpunkt, im Manuskript noch etwas zu ändern, dieses E-Mail? Sie erzählt, dass sie einen Film über den jüdischen Friedhof in Währing gedreht hat – ein weiteres Thema, das uns verbindet.

Über die Villa in Baden gibt es keine in der Familie tradierten Geschichten, doch schickt mir Monica einen Tag später bereits Photos aus den 1920er- und 1930er-Jahren, das eine oder andere stammt aus besseren Tagen in Baden. Sie besitzt sechs Photoalben – ohne Beschriftungen. Gemeinsam versuchen wir zu eruieren, wer abgebildet ist. Mit einem Bild des Urgroßvaters Gustav Heller kann ich aushelfen – sein signifikantes Gesicht lächelt aus einigen der Bilder. Monicas Tochter Mercedes in Buenos Aires ist offenbar auch von unserer Energie angesteckt und photographiert gleich einige der Bilder ab.

Doch damit nicht genug: Einen Tag später warte ich am Flughafen auf Marlo Poras, Nachkommin der Familie Drach, über die ich im Aussee-Buch geschrieben habe. Sie ist, genauso wie Eve Heller, Filmemacherin und plant einen Film über ihre Familie und gleichzeitig über all die Nachkommen, die in den vergangenen Monaten die österreichische Staatsbürgerschaft wieder erhalten haben. Ein spannendes Projekt. Wir fahren zur Villa ihrer Familie in der Max Emanuel Straße 17 – ein imposantes Gebäude, das in den vergangenen Jahren immer mehr verfällt. Marlos Großmutter erhielt nach dem Krieg ihren Besitz in Österreich zurück und erwarb mit dem Kauferlös einen Wald in Massachusetts. „Wienerwald“ schrieb sie auf ein Schild. Und nun wohnt Marlo in meiner Wohnung – mit Blick auf den Wienerwald. Wieder kein Zufall.

Was für ein Geschenk, dieses Wissen mit den Nachkommen zu teilen – in beide Richtung fließt die Familiengeschichte und bleibt so lebendig und in Erinnerung.

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Die Familie der Zuckerl-Heller beschäftigt mich. Und nicht nur mich. Auch meine Lektorin Madeleine Pichler vom Amalthea-Verlag fragt nach dem Schicksal der Nachkommen. Ich versuche, Familie Wolf in Buenos Aires zu finden. Chancenlos. Hans Heller hat immerhin ein Buch geschrieben, über seinen Sohn Peter Heller weiß ich, dass er 1889 in Buffalo starb. Viel zu dünne Informationen. Am 15. Juli 2022 überarbeite ich in der Früh das korrigierte Buch-Manuskript und lese nebenbei meine E-Mails. Plötzlich sehe ich ein E-Mail von Eve Heller. Unglaublich. Sie entpuppt sich als Hans‘ Enkelin.

„Scheinbar durch Zufall erfuhr ich bei einem Gespräch über meine Familiengeschichte von Ihrer Arbeit bezüglich der Badener Villen. Meine Cousine Monica Wolf, die derzeit im Alter von 68 Jahren einen seltenen und vielleicht letzten Besuch in Wien macht, möchte mit mir die verlorene Geschichte unserer Familie einschließlich der Villa in Baden erkunden.“ So schreibt Eve.

Zufall? Das kann nicht sein. Am späten Nachmittag treffe die beiden Cousinen im Kaffeehaus und sie erzählen mir, wie es den Familien ergangen ist. Otto Wolf, Gustav Hellers Schwiegersohn, kehrt im Alter nach Österreich zurück – ausgerechnet nach St. Anton am Arlberg, wohl in Erinnerung an unbeschwerte Schiferien seiner Kindheit. Seine Enkelin Monica besucht ihn als kleines Mädchen und er bringt ihr Schifahren bei. Otto Wolf stirbt auch dort – ein Ort, wo wir ihn niemals suchen würden.

Die Filmemacherin Eve Heller verbringt viele Sommer mit ihrem Vater Peter in Grundlsee, wo die Familie einst eine Bauhaus-Villa am Ufer des Sees besaß und in den 1970er-Jahren wandern geht. 2005 übersiedelt Eve aus Amerika nach Österreich – der Liebe wegen. Sie lebt in Wien und im Weinviertel – warum schreibt sie mir ausgerechnet an diesem Tag, dem letztmöglichen Zeitpunkt, im Manuskript noch etwas zu ändern, dieses E-Mail? Sie erzählt, dass sie einen Film über den jüdischen Friedhof in Währing gedreht hat – ein weiteres Thema, das uns verbindet.

Über die Villa in Baden gibt es keine in der Familie tradierten Geschichten, doch schickt mir Monica einen Tag später bereits Photos aus den 1920er- und 1930er-Jahren, das eine oder andere stammt aus besseren Tagen in Baden. Sie besitzt sechs Photoalben – ohne Beschriftungen. Gemeinsam versuchen wir zu eruieren, wer abgebildet ist. Mit einem Bild des Urgroßvaters Gustav Heller kann ich aushelfen – sein signifikantes Gesicht lächelt aus einigen der Bilder. Monicas Tochter Mercedes in Buenos Aires ist offenbar auch von unserer Energie angesteckt und photographiert gleich einige der Bilder ab.

Doch damit nicht genug: Einen Tag später warte ich am Flughafen auf Marlo Poras, Nachkommin der Familie Drach, über die ich im Aussee-Buch geschrieben habe. Sie ist, genauso wie Eve Heller, Filmemacherin und plant einen Film über ihre Familie und gleichzeitig über all die Nachkommen, die in den vergangenen Monaten die österreichische Staatsbürgerschaft wieder erhalten haben. Ein spannendes Projekt. Wir fahren zur Villa ihrer Familie in der Max Emanuel Straße 17 – ein imposantes Gebäude, das in den vergangenen Jahren immer mehr verfällt. Marlos Großmutter erhielt nach dem Krieg ihren Besitz in Österreich zurück und erwarb mit dem Kauferlös einen Wald in Massachusetts. „Wienerwald“ schrieb sie auf ein Schild. Und nun wohnt Marlo in meiner Wohnung – mit Blick auf den Wienerwald. Wieder kein Zufall.

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