Vor wenigen Tagen traf ich den Geiger Johannes Fleischmann, um ein Projekt mit ihm zu besprechen. Wir kamen von Hundertsten zum Tausendsten, plötzlich lässt er seinen Blick über mein noch etwas karg eingerichtetes Büro schweifen und fragt, ob ich vielleicht ein Klavier haben will. Er wüsste einen Bösendorfer, der im Gartenhaus einer Nachbarin steht. Auf einem Photo zeigt er mir einen hochhistoristischen Flügel, mit Schwänen als Verzierung der Beine und Sphinxen neben der Tastatur. Meine Neugierde ist natürlich gleich geweckt: Woher stammt denn dieser außergewöhnliche Flügel? Auch diese Frage kann Johannes beantworten: Er wurde am 23. Dezember 1879 ausgeliefert – an Wilhelm von Gutmann. Der Flügel ist wohl ein Geschenk an seine Frau Ida, die am 24. Dezember ihren 32. Geburtstag feierte.

Eines meiner ersten Bücher widmete sich vor unglaublichen 20 Jahren unter anderem der Familie Gutmann, die dadurch auch einen besonderen Stellenwert in meinem Leben hat. Und sich diesen auch seit damals erhält. In meiner kommenden Ausstellung im Kaiserhaus Baden widme ich mich den Villen der jüdischen Eigentümer – und eine der imposantesten Villen gehörte Wilhelm und Ida Gutmann. Exponate aus dieser Villa zu finden, erweist sich als schwierig – zu lange liegt dies schon zurück, die Enteignungen des Jahres 1938 haben den letzten Rest verschwinden lassen.

Doch da steht es plötzlich vor mir, das Klavier. In einem Wintergarten mitten in den Maurer Weingärten. Kalt ist es dort und sehr feucht, doch das Klavier klingt gut und ist auch kaum verstimmt. Was für ein merkwürdiger Ort für ein so prachtvolles Instrument. Die Eigentümerin, deren Mutter den Flügel in den 1950er Jahren erwarb, empfängt mich freundlich und stellt uns den Flügel für die Ausstellung sehr gerne zur Verfügung. Und mir kommt leise der Gedanke, dass dies wieder einmal so ein Moment ist, wo ein Gegenstand auf mich gewartet hat. Wieso gerade jetzt, wo wir so intensiv interessante und spannende Ausstellungsstücke suchen, mit denen wir Geschichten erzählen können?

Diese Geschichte erzähle ich gerne – auch wenn ich die Hintergründe noch nicht genau weiß. Aber mein Ehrgeiz ist angestachelt! Die Familie Gutmann bleibt meine Begleiterin. Und der Prachtflügel bekommt eine angemessene Heimat.

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Vor wenigen Tagen traf ich den Geiger Johannes Fleischmann, um ein Projekt mit ihm zu besprechen. Wir kamen von Hundertsten zum Tausendsten, plötzlich lässt er seinen Blick über mein noch etwas karg eingerichtetes Büro schweifen und fragt, ob ich vielleicht ein Klavier haben will. Er wüsste einen Bösendorfer, der im Gartenhaus einer Nachbarin steht. Auf einem Photo zeigt er mir einen hochhistoristischen Flügel, mit Schwänen als Verzierung der Beine und Sphinxen neben der Tastatur. Meine Neugierde ist natürlich gleich geweckt: Woher stammt denn dieser außergewöhnliche Flügel? Auch diese Frage kann Johannes beantworten: Er wurde am 23. Dezember 1879 ausgeliefert – an Wilhelm von Gutmann. Der Flügel ist wohl ein Geschenk an seine Frau Ida, die am 24. Dezember ihren 32. Geburtstag feierte.

Eines meiner ersten Bücher widmete sich vor unglaublichen 20 Jahren unter anderem der Familie Gutmann, die dadurch auch einen besonderen Stellenwert in meinem Leben hat. Und sich diesen auch seit damals erhält. In meiner kommenden Ausstellung im Kaiserhaus Baden widme ich mich den Villen der jüdischen Eigentümer – und eine der imposantesten Villen gehörte Wilhelm und Ida Gutmann. Exponate aus dieser Villa zu finden, erweist sich als schwierig – zu lange liegt dies schon zurück, die Enteignungen des Jahres 1938 haben den letzten Rest verschwinden lassen.

Doch da steht es plötzlich vor mir, das Klavier. In einem Wintergarten mitten in den Maurer Weingärten. Kalt ist es dort und sehr feucht, doch das Klavier klingt gut und ist auch kaum verstimmt. Was für ein merkwürdiger Ort für ein so prachtvolles Instrument. Die Eigentümerin, deren Mutter den Flügel in den 1950er Jahren erwarb, empfängt mich freundlich und stellt uns den Flügel für die Ausstellung sehr gerne zur Verfügung. Und mir kommt leise der Gedanke, dass dies wieder einmal so ein Moment ist, wo ein Gegenstand auf mich gewartet hat. Wieso gerade jetzt, wo wir so intensiv interessante und spannende Ausstellungsstücke suchen, mit denen wir Geschichten erzählen können?

Diese Geschichte erzähle ich gerne – auch wenn ich die Hintergründe noch nicht genau weiß. Aber mein Ehrgeiz ist angestachelt! Die Familie Gutmann bleibt meine Begleiterin. Und der Prachtflügel bekommt eine angemessene Heimat.

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