Was für ein Abend. Was für eine Produktion.

2018 erschien mein Buch über die vertriebenen Künstler der Volksoper im Jahr 1938, ein Projekt, das auf Grund der Quellenlage eine lange Anlaufzeit hatte. Plötzlich kam mir die Idee, die letzte Produktion vor der Nazi-Okkupation als Ausgangspunkt für meine Recherchen zu verwenden: Gruß und Kuß aus der Wachau. Eine Revueoperette vom Komponisten Jara Beneš mit Texten von Hugo Wiener, Kurt Breuer und Fritz Löhner-Beda. Doch wer war noch beteiligt? Regisseur und Bühnenbildner, Kostümbildner und Choreograph. Und die Hauptdarsteller. Ihren Biographien ging ich nach und fand zahlreiche weitere Künstler und Künstlerinnen, die der Volksoper verbunden waren. Auch der Theaterarzt zählte dazu. Ich recherchierte in Archiven in Wien, New York und North Carolina, ich kontaktierte Nachkommen in Australien, Schweden und Guatemala. Am Anfang konnte ich auf wenig Material zurückgreifen – am Ende wußte ich kaum, wie ich die Mengen an Informationen verarbeiten sollte. Doch es gelang. Und daraus entstand mein Buch „Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt“, das die Lebenswege von dreißig Künstlern und Künstlerinnen der Volksoper weiterverfolgte – als pars pro toto. Denn es gibt viel mehr Schicksale, die noch immer nicht der Vergessenheit entrissen wurden. Ich mache einen Anfang.

Ein Buch, das mich emotional sehr okkupiert. Schicksale, die mir nahe gehen und die ich erzählen muss im Wissen, dass viele andere Schicksale existieren, die noch im Dunkeln liegen. Bei diesem Buch habe ich den Nachkommen, die ich aufspüren konnte, immer die Frage gestellt, ob sich je jemand bei ihnen gemeldet hätte mit der Frage nach der Familie. Die Antwort war immer nein.

Was für eine Verantwortung, was für eine Aufgabe.

Und diese hab ich als Auftrag begriffen, der da lautet: Gib den Menschen, den Familien ihre Geschichte zurück. Das treibt mich an.

Das Buch erscheint, interessiert Presse und Publikum. Gott sei Dank. Und dann wird Lotte de Beer zur Direktorin der Volksoper designiert. Rebecca Nelsen, Ensemblemitglied der Volksoper, hat mein Buch bereits im Fokus für eine Produktion – und erzählt dies Lotte. Und plötzlich bündeln sich alle Kräfte: Lotte nimmt Rebeccas Anregung an und beschließt, diese Geschichte mit Hilfe von Autor und Regisseur Theu Boer­mans auf die Bühne zu bringen – als Jubiläumsproduktion zu 125 Jahre Volksoper. Das ist auch ein bedeutender Tag für den kaufmännischen Direktor Christoph Ladstätter – denn er gab die Initialzündung.

Am 14. Dezember 2023 war es soweit: Lass uns die Welt vergessen ging über die Bühne. Das Publikum musste viele emotionale Ebenen mitdurchleben: die Proben zu Gruß und Kuß, die politische Realität, die private Wahrnehmung und die Diskussionen des Regie-Teams. Eine Vielfalt von Gefühlen, die dem Publikum geboten – oder zugemutet? – wird. Fröhliche Operettenmusik trifft auf zunehmend rassische Be- oder eher Verurteilung.

Wie lang kann die Politik aus der Kunst herausgehalten werden? Geht das überhaupt?

Musik von Gustav Mahler, Arnold Schönberg und Viktor Ullmann untermalen, ja charakterisieren die gesellschaftliche Entwicklung: Was modern und fortschrittlich galt, muss der Reaktion weichen. Entartete Musik – wer denkt da an fröhliche Revue-Operette mit Jazz und Swing?

Und so verdichtet sich die Produktion immer mehr – Keren Kagarlitsky, die musikalische Leiterin und Dirigentin – entwickelt die Musik in ihrer Aussagekraft weiter. Das fröhliche Wachaulied ertönt in dunklen Schattierungen und am Ende im deutschen Marschrhythmus. So ändern sich die Zeiten. Unterhaltsame Melodien werden zu akkuraten Märschen.

Doch in den Ländern, in denen die Musiker Zuflucht finden, gelten andere Regeln: Franz Ippisch leitet die guatemaltekischen Militärkapellen – und die österreichische Musik spielt eine nicht unwesentliche Rolle. Kurt Herbert Adler leitet 30 Jahre lang die San Francisco Opera und holt erstmals europäische Künstler nach Kalifornien.

Und viele der Kapellmeister schaffen sich ihr eigenes Orchester, Ensemble, Theater – die Möglichkeiten erweisen sich als groß. Das ist alles in meinem Buch nachzulesen.

Doch nun kommt er neue, wichtige Schritt. Das Buch bietet die Basis zu einer Bühnenproduktion. Wann passiert denn sowas?

Es passiert. Und ich bleibe eingebunden und darf den Produktionsprozess miterleben, kommentieren und sehe demütig staunend die Künstler und Künstlerinnen, deren Schicksale ich recherchieren durfte, lebendig auf der Bühne, von der sie vertrieben wurden. Das heutige Ensemble spielt das damalige – in all ihrer Vielfalt und Zerrissenheit, ihrer Angst und Verzweiflung. Sie sind nicht vergessen – in unserer Erinnerung leben sie weiter. Mehr kann ich mir nicht wünschen.

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Was für ein Abend. Was für eine Produktion.

2018 erschien mein Buch über die vertriebenen Künstler der Volksoper im Jahr 1938, ein Projekt, das auf Grund der Quellenlage eine lange Anlaufzeit hatte. Plötzlich kam mir die Idee, die letzte Produktion vor der Nazi-Okkupation als Ausgangspunkt für meine Recherchen zu verwenden: Gruß und Kuß aus der Wachau. Eine Revueoperette vom Komponisten Jara Beneš mit Texten von Hugo Wiener, Kurt Breuer und Fritz Löhner-Beda. Doch wer war noch beteiligt? Regisseur und Bühnenbildner, Kostümbildner und Choreograph. Und die Hauptdarsteller. Ihren Biographien ging ich nach und fand zahlreiche weitere Künstler und Künstlerinnen, die der Volksoper verbunden waren. Auch der Theaterarzt zählte dazu. Ich recherchierte in Archiven in Wien, New York und North Carolina, ich kontaktierte Nachkommen in Australien, Schweden und Guatemala. Am Anfang konnte ich auf wenig Material zurückgreifen – am Ende wußte ich kaum, wie ich die Mengen an Informationen verarbeiten sollte. Doch es gelang. Und daraus entstand mein Buch „Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt“, das die Lebenswege von dreißig Künstlern und Künstlerinnen der Volksoper weiterverfolgte – als pars pro toto. Denn es gibt viel mehr Schicksale, die noch immer nicht der Vergessenheit entrissen wurden. Ich mache einen Anfang.

Ein Buch, das mich emotional sehr okkupiert. Schicksale, die mir nahe gehen und die ich erzählen muss im Wissen, dass viele andere Schicksale existieren, die noch im Dunkeln liegen. Bei diesem Buch habe ich den Nachkommen, die ich aufspüren konnte, immer die Frage gestellt, ob sich je jemand bei ihnen gemeldet hätte mit der Frage nach der Familie. Die Antwort war immer nein.

Was für eine Verantwortung, was für eine Aufgabe.

Und diese hab ich als Auftrag begriffen, der da lautet: Gib den Menschen, den Familien ihre Geschichte zurück. Das treibt mich an.

Das Buch erscheint, interessiert Presse und Publikum. Gott sei Dank. Und dann wird Lotte de Beer zur Direktorin der Volksoper designiert. Rebecca Nelsen, Ensemblemitglied der Volksoper, hat mein Buch bereits im Fokus für eine Produktion – und erzählt dies Lotte. Und plötzlich bündeln sich alle Kräfte: Lotte nimmt Rebeccas Anregung an und beschließt, diese Geschichte mit Hilfe von Autor und Regisseur Theu Boer­mans auf die Bühne zu bringen – als Jubiläumsproduktion zu 125 Jahre Volksoper. Das ist auch ein bedeutender Tag für den kaufmännischen Direktor Christoph Ladstätter – denn er gab die Initialzündung.

Am 14. Dezember 2023 war es soweit: Lass uns die Welt vergessen ging über die Bühne. Das Publikum musste viele emotionale Ebenen mitdurchleben: die Proben zu Gruß und Kuß, die politische Realität, die private Wahrnehmung und die Diskussionen des Regie-Teams. Eine Vielfalt von Gefühlen, die dem Publikum geboten – oder zugemutet? – wird. Fröhliche Operettenmusik trifft auf zunehmend rassische Be- oder eher Verurteilung.

Wie lang kann die Politik aus der Kunst herausgehalten werden? Geht das überhaupt?

Musik von Gustav Mahler, Arnold Schönberg und Viktor Ullmann untermalen, ja charakterisieren die gesellschaftliche Entwicklung: Was modern und fortschrittlich galt, muss der Reaktion weichen. Entartete Musik – wer denkt da an fröhliche Revue-Operette mit Jazz und Swing?

Und so verdichtet sich die Produktion immer mehr – Keren Kagarlitsky, die musikalische Leiterin und Dirigentin – entwickelt die Musik in ihrer Aussagekraft weiter. Das fröhliche Wachaulied ertönt in dunklen Schattierungen und am Ende im deutschen Marschrhythmus. So ändern sich die Zeiten. Unterhaltsame Melodien werden zu akkuraten Märschen.

Doch in den Ländern, in denen die Musiker Zuflucht finden, gelten andere Regeln: Franz Ippisch leitet die guatemaltekischen Militärkapellen – und die österreichische Musik spielt eine nicht unwesentliche Rolle. Kurt Herbert Adler leitet 30 Jahre lang die San Francisco Opera und holt erstmals europäische Künstler nach Kalifornien.

Und viele der Kapellmeister schaffen sich ihr eigenes Orchester, Ensemble, Theater – die Möglichkeiten erweisen sich als groß. Das ist alles in meinem Buch nachzulesen.

Doch nun kommt er neue, wichtige Schritt. Das Buch bietet die Basis zu einer Bühnenproduktion. Wann passiert denn sowas?

Es passiert. Und ich bleibe eingebunden und darf den Produktionsprozess miterleben, kommentieren und sehe demütig staunend die Künstler und Künstlerinnen, deren Schicksale ich recherchieren durfte, lebendig auf der Bühne, von der sie vertrieben wurden. Das heutige Ensemble spielt das damalige – in all ihrer Vielfalt und Zerrissenheit, ihrer Angst und Verzweiflung. Sie sind nicht vergessen – in unserer Erinnerung leben sie weiter. Mehr kann ich mir nicht wünschen.

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